Urteile
  • BGH, Urteil vom 28. April 2010 - VIII ZR 223/09

Recht der Erneuerbaren Energien

BGH, Urteil vom 28. April 2010 - VIII ZR 223/09

Hier befindet sich der Abdruck des Bundesadlers

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

VIII ZR 223/09 Verkündet am:

28. April 2010

Ermel,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

BGHR: ja

GG Art. 14 Ba; BGB § 1004; AVBEltV § 8; NAV § 12

Nimmt ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen das innerhalb des Versorgungsgebiets liegende Grundstück eines Anschlussnehmers für die Verlegung von Elektrizitätsleitungen in Anspruch, ist es dem von der Leitungsverlegung betroffenen Grundeigentümer grundsätzlich verwehrt, das Versorgungsunternehmen auf die Inanspruchnahme eines anderen Duldungspflichtigen zu verweisen. Dabei ist das Auswahlermessen des Elektrizitätsversorgungsunternehmens auch nicht dahin eingeschränkt, dass es in Fällen, in denen die Inanspruchnahme von privatem und öffentlichem Grundeigentum gleichwertig möglich ist, das öffentliche Grundeigentum vor-rangig in Anspruch zu nehmen hat (Fortführung der Senatsrechtsprechung, Urteil vom 11. März 1992 - VIII ZR 219/91, WM 1992, 1114).

BGH, Urteil vom 28. April 2010 - VIII ZR 223/09 - LG Schwerin

AG Parchim

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Dr. Frellesen und Dr. Achilles, die Richterin Dr. Fetzer und den Richter Dr. Bünger

für Recht erkannt:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil der Zivilkammer 2 des Landgerichts Schwerin vom 24. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens einschließ-lich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

1

Die Kläger sind Miteigentümer eines in W. gelegenen bebauten Grundstücks, welches die Beklagte, ein Energieversorgungsunternehmen, mit Elektrizität versorgt. Die für die Versorgung der Straßenanlieger vorgesehenen Leitungen wurden im Jahr 2003 von der Beklagten verlegt, die sich dabei der Streithelferin bediente. Im Bereich des Grundstücks der Kläger wurden diese Leitungen nicht im Straßenkörper, sondern auf einer Länge von etwa 20 m un-mittelbar neben der Straße in einem bereits zum Grundstück der Kläger gehö-renden, ungefähr 0,5 m breiten Grundstückstreifen verlegt. Die Kläger sehen diese Leitungsführung als fehlerhaft an, weil dadurch die Benutzbarkeit ihres Grundstücks beeinträchtigt werde und die Beklagte gehalten gewesen sei, für die Leitungsführung öffentlichen Grund in Anspruch zu nehmen. Ihre auf Ent-fernung der Elektrizitätsleitung von ihrem Grundstück gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der sie ihr Beseiti-gungsbegehren weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe:

2

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

3

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-sentlichen ausgeführt:

4

Die Kläger seien gemäß § 1004 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 AVBEltV verpflichtet, die auf ihrem Grundstück befindliche Versor-gungsleitung zu dulden. Zwar entfalle eine entschädigungslose Duldungspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBEltV ausnahmsweise dann, wenn ein Grundstücks-eigentümer durch die Inanspruchnahme seines Grundstücks mehr als notwen-dig oder in unzumutbarer Weise belastet werde. Ein solcher Ausnahmefall liege hier aber nicht vor. Es stehe außer Streit, dass die Verlegung des Kabels ent-weder auf dem Grundstück der Kläger oder auf öffentlichem Grund für die Energieversorgung notwendig gewesen sei. Die Beeinträchtigung der für die Leitungsverlegung in Betracht kommenden Grundstücke wäre im Wesentlichen gleich gewesen. Ebenso hätten die Kläger nicht dargelegt, dass gegen die Ver-legung im Randbereich ihres Grundstücks zum Verlegungszeitpunkt technisch-wirtschaftliche Gründe gesprochen hätten. Einer Notwendigkeit der Inanspruch-nahme gerade des Grundstücks der Kläger habe auch nicht entgegengestan-den, dass unter Verschonung ihres Grundstücks die Leitung technisch-wirtschaftlich in gleicher Weise auf öffentlichem Grund hätte geführt werden können. Denn bei der Auswahl eines von zwei für die Leitungsverlegung in Be-tracht kommenden Grundstücken habe die Beklagte sich im Rahmen des ihr zustehenden Auswahlermessens gehalten. Insbesondere gebe es keinen Grundsatz, wonach bei Gleichwertigkeit der in Betracht kommenden Grundstü-cke öffentlicher Grund vor privatem Grund in Anspruch zu nehmen sei. Dage-gen spreche auch, dass es keinen Anspruch des Grundstückseigentümers ge-gen den Staat gebe, Lasten zu übernehmen, die der Grundstückseigentümer im Rahmen der verfassungsrechtlich verankerten Sozialbindung seines Eigentums zu tragen habe. Dementsprechend müsse derjenige, der als Kunde oder An-schlussnehmer an den Vorteilen der öffentlichen Stromversorgung teilhabe, zu deren kostengünstiger Schaffung und Aufrechterhaltung ohne Entgelt durch Zurverfügungstellung seines Grundstückseigentums beitragen, ohne das Ver-sorgungsunternehmen auf die Inanspruchnahme eines durch die geplante Maßnahme in gleicher Weise betroffenen anderen Duldungspflichtigen verwei-sen zu können, selbst wenn es sich hierbei um die öffentliche Hand handele.

5

Ob die Beklagte seinerzeit irrig angenommen habe, die Leitung verlaufe über öffentlichen Grund, sei deshalb unerheblich, zumal sie auch dargetan ha-be, dass sie die Leitung selbst bei Kenntnis von der Inanspruchnahme des klä-gerischen Grundstücks in gleicher Weise verlegt hätte. Dass die Kläger durch die Inanspruchnahme ihres Grundstücks nachträglich in unzumutbarer Weise belastet seien, sei nicht festzustellen. Insbesondere sei ihr Hinweis unerheblich, sie müssten sich bei der Aufstellung eines Werbeschildes für ihren auf dem Grundstück betriebenen Hausmeisterservice sowie beim Bau eines Gartentei-ches an der Leitungsführung orientieren. Denn sie hätten schon nicht vorgetra-gen, konkrete Baumaßnahmen zu planen, die durch die Leitungsführung erheb-lich behindert würden. Fernliegende, nur theoretische Nutzungsmöglichkeiten seien demgegenüber unbeachtlich. Im Übrigen sei nicht dargetan, dass eine von der Leitungsverlegung ausgehende Wertminderung ihres Grundstücks er-heblich sei.

II.

6

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand; die Revi-sion ist daher zurückzuweisen.

7

Die Kläger können als Eigentümer des durch die Verlegung der Elektrizi-tätsleitungen beeinträchtigten Grundstücks nicht gemäß § 1004 Abs. 1 BGB beanspruchen, dass die Beklagte, die diese Verlegung veranlasst hat, die Lei-tungen von ihrem Grundstück wieder entfernt. Ein solcher Anspruch ist gemäß § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, weil die Kläger nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 der zum Zeitpunkt der Leitungsverlegung noch geltenden Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684; im Folgenden: AVBEltV) verpflichtet waren, die Verlegung der Leitungen unentgeltlich zuzulassen. Ebenso wenig ist diese Dul-dungspflicht nachträglich wegen Unzumutbarkeit gemäß § 8 Abs. 3 AVBEltV oder gemäß § 12 Abs. 3 der stattdessen seit dem 8. November 2006 in Kraft getretenen Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung vom 1. November 2006 (BGBl. I S. 2477; im Folgenden: NAV) in Fortfall gekommen.

8

1. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 AVBEltV haben Kunden und An-schlussnehmer eines Elektrizitätsversorgungsunternehmens, die Grundstücks-eigentümer sind, für Zwecke der örtlichen Versorgung (Niederspannungs- und Mittelspannungsnetz) das Anbringen und Verlegen von Leitungen zur Zu- und Fortleitung von Elektrizität über ihre im gleichen Versorgungsgebiet liegenden Grundstücke unter anderem dann unentgeltlich zuzulassen, wenn die betroffe-nen Grundstücke an die Stromversorgung angeschlossen sind. Die tatsächli-chen Voraussetzungen, an die hiernach die Duldungspflicht des Eigentümers geknüpft wird, sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllt. Das zieht auch die Revision nicht in Zweifel. Sie ist allerdings der Auffassung, einer Duldungspflicht der Kläger habe von vornherein § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBEltV ent-gegengestanden, weil die Inanspruchnahme des Grundstücks der Kläger neben einer ebenfalls möglichen Inanspruchnahme des Straßengrundstücks unver-hältnismäßig sei.

9

2. Nach § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBEltV entfällt ausnahmsweise die - entschädigungslose - Duldungspflicht, wenn die Inanspruchnahme des Grund-stücks den Eigentümer mehr als notwendig oder in unzumutbarer Weise be-lasten würde. Einen solchen Ausnahmefall hat das Berufungsgericht hier indes-sen rechtsfehlerfrei verneint.

10

a) Bei der einem Grundstückseigentümer in § 8 Abs. 1 AVBEltV auferleg-ten Pflicht, das Anbringen und Verlegen von Elektrizitätsleitungen für Zwecke der örtlichen Versorgung auf seinem Grundstück zu dulden, handelt es sich um eine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässige Bestimmung der Schranken des Eigentums. Denn die in den Grenzen der Notwendigkeit und Zumutbarkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 3 AVBEltV) bestehende Duldungspflicht beschränkt die Privatnüt-zigkeit des Grundeigentums im Interesse einer leistungsfähigen Elektrizitätsver-sorgung der örtlichen Gemeinschaft und ist als solche auf Grundstückseigen-tümer beschränkt, die die Vorteile der Elektrizitätsversorgung für ihr Grundei-gentum selbst in Anspruch nehmen. Unter diesen Voraussetzungen regelt die Vorschrift lediglich einen angemessenen Beitrag mitversorgter Grundstücksei-gentümer zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Elektrizi-tätsversorgung und ist damit zugleich Ausdruck der in Art. 14 Abs. 2 GG be-schriebenen Sozialbindung des Eigentums (BVerfG, NZM 2001, 750 f.; Be-schluss vom 9. August 1990 - 1 BvR 1340/89, juris, Tz. 3; Senatsurteile vom 14. Januar 1981 - VIII ZR 337/79, WM 1981, 250, unter II 2 d; vom 13. März 1991 - VIII ZR 373/89, WM 1991, 1477, unter II 1; vom 11. März 1992 - VIII ZR 219/91, WM 1992, 1114, unter II 2 a; jeweils m.w.N.).

11

Die von einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen versorgten Kunden und Anschlussnehmer stellen hiernach innerhalb eines Versorgungsgebietes notwendigerweise aus technisch-wirtschaftlichen Gründen eine Solidargemein-schaft dar, die nur durch ein für alle Abnehmer bereitgehaltenes, die Benutzung fremder Grundstücke erforderndes Netz mit Strom versorgt werden kann. Dabei sind alle in dem Versorgungsgebiet liegenden Grundstücke, die unter § 8 Abs. 1 Satz 2 AVBEltV fallen, in die Sozialbindung des Eigentums dergestalt einbezo-gen, dass auf ihnen zu Gunsten des Gemeinwohls eine allgemeine Pflichtigkeit lastet, durch die das freie Nutzungs- und Verfügungsrecht der Eigentümer (§ 903 BGB) im Interesse einer leistungsfähigen und kostengünstigen öffentli-chen Energieversorgung eingeschränkt wird. Wo im Einzelfall die Grenze zu ziehen ist, außerhalb derer die Belastung des Eigentümers nicht mehr von der Sozialpflichtigkeit gedeckt wird, sondern ein nicht mehr entschädigungslos hin-zunehmendes Sonderopfer darstellt, ist jeweils wertend anhand der berührten Belange des Allgemeinwohls (möglichst kostengünstige und leistungsfähige Energieversorgung) und der betroffenen Eigentümerinteressen festzustellen. Entscheidendes Abwägungskriterium ist dabei - wie in § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBEltV zum Ausdruck gebracht - das verfassungsrechtliche Gebot der Ver-hältnismäßigkeit, nach dem die Einschränkung der Eigentümerbefugnisse zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und notwendig sein muss sowie die betroffenen Eigentümer nicht in unzumutbarer Weise belasten darf (Senatsur-teile vom 3. März 1991 und 11. März 1992, aaO). Hieran gemessen begegnet das Ergebnis der - im Wesentlichen dem Tatrichter vorbehaltenen (BGHZ 66, 62, 67; Senatsurteil vom 11. März 1992, aaO, unter II 2 b m.w.N.) - Interessen-abwägung, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat, keinen rechtlichen Bedenken.

12

b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war es notwendig, die in Rede stehende Elektrizitätsleitungen entweder auf dem Grundstück der Klä-ger im Randbereich zur Straße hin oder auf dem Straßengrundstück zu verle-gen, wobei technisch-wirtschaftlichen Gründe in beiden Fällen einer Grund-stücksinanspruchnahme nicht entgegengestanden hätten und das Maß einer durch die Leitungsverlegung herbeigeführten Beeinträchtigung der Grundstücke jeweils im Wesentlichen gleich gewesen wäre. Dass die Beklagte seinerzeit irrig annahm, bei der Leitungsverlegung öffentlichen Grund in Anspruch zu nehmen, hat das Berufungsgericht für unerheblich erachtet, weil die Beklagte auch bei Kenntnis der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse die Leitung an gleicher Stelle verlegt hätte.

13

Diese Feststellungen greift die Revision nicht an. Sie rügt jedoch die An-nahme des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft, es gebe keinen das Aus-wahlermessen des Versorgungsunternehmens einschränkenden Grundsatz, wonach in solch einem Fall öffentlicher Grund vor privatem Grund in Anspruch zu nehmen sei. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts habe es bei der hier bestehenden Gleichwertigkeit der für die notwendige Leitungsführung in Betracht kommenden Grundstücke dem Versorgungsunternehmen vielmehr nicht freigestanden, entweder das private oder das öffentliche Grundstück in Anspruch zu nehmen. Dieser von der Revision vertretenen Sichtweise kann indessen nicht gefolgt werden.

14

aa) Dem von einer Leitungsverlegung betroffenen Grundeigentümer ist es nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich verwehrt, das Versor-gungsunternehmen auf die Inanspruchnahme eines anderen Duldungspflichti-gen zu verweisen. Es ist vielmehr Sache des Versorgungsunternehmens, über die Streckenführung, für die technische und wirtschaftliche Erwägungen maß-gebend sind, und damit auch darüber zu befinden, welchen von mehreren in Betracht kommenden Duldungspflichtigen es heranziehen will. Der dem Ver-sorgungsunternehmen zustehende Ermessensspielraum ist einer gerichtlichen Überprüfung nur dahin zugänglich, ob es sich bei der getroffenen Entscheidung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens gehalten hat (BGHZ 66, 62, 67; Se-natsurteile vom 13. März 1991, aaO, unter II 2 a m.w.N.; vom 11. März 1992, aaO, unter II 2 b cc).

15

bb) Der Senat hat die Frage offen gelassen, ob ein Versorgungsunter-nehmen generell gehalten ist, im Rahmen des § 8 Abs. 1 AVBEltV öffentliche Grundstücke vorrangig vor privaten Grundstücken in Anspruch zu nehmen, weil nach der von ihm entschiedenen Fallgestaltung die alternativ mögliche Inan-spruchnahme öffentlichen Grundeigentums wegen entstehender Mehrkosten keine das Ermessen einschränkende gleichwertige Lösung geboten hätte (Se-natsurteil vom 13. März 1991, aaO). Für den Fall einer Gleichwertigkeit der in Betracht kommenden Inanspruchnahmemöglichkeiten hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (RdE 1986, 179, 180; ihm folgend Büdenben-der/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I - Recht der Energieanlagen, 1999, Rdnr. 1847) die Auffassung vertreten, dass die Ermessensausübung mit Blick auf § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBEltV vorrangig dahin gehen müsse, die Elektrizi-tätsleitung im Straßenraum zu verlegen. Demgegenüber hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf eine Ermessensausübung des Versor-gungsunternehmens gebilligt, für die Leitungsverlegung ein privates Grundstück anstelle eines alternativ in Betracht kommenden öffentlichen Verkehrsraums in Anspruch zu nehmen, weil öffentlicher Verkehrsraum gemäß § 8 Abs. 6 AVBEltV grundsätzlich von der unentgeltlichen Duldungspflicht nach § 8 Abs. 1 AVBEltV freigestellt sei (ZNER 2005, 74, 75). Ebenso hat das Landgericht Wup-pertal in einem solchen Fall einen Ermessensfehler des Versorgungsunterneh-mens bei Auswahl der in Betracht kommenden Grundstücke verneint, weil es keine Regel gebe, nach der öffentlicher Grund vorrangig vor privatem in An-spruch zu nehmen sei (RdE 2005, 203, 204).

16

Auch im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass öffentliche Verkehrs-wege durch § 8 Abs. 6 AVBEltV von der Duldungspflicht nach § 8 Abs. 1 AVBEltV ausgenommen seien, weil der Verordnungsgeber entsprechend der bisherigen Praxis (dazu BVerwGE 29, 248, 250 ff.; BGHZ 138, 266, 274 f.) dar-an festhalten wollte, die Inanspruchnahme derartiger Flächen nicht über Dul-dungspflichten, sondern über den Abschluss von Gestattungsverträgen mit Konzessionsabgaben und Folgekostenvereinbarungen zu regeln (Recknagel in: Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer, Kommentar zu den Allgemeinen Versor-gungsbedingungen, 1981, § 8 AVBEltV Rdnr. 121; Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung (Stand: 10/2006), § 8 AVBEltV Rdnr. 45). Hieraus wird für eine Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen gefolgert, dass es jedenfalls keinen allgemeinen Rechtssatz gebe, wonach fiskalische Grundstücke vorrangig vor rein privaten Grundstücken für Leitungszwecke in Anspruch genommen werden müssten (Recknagel, aaO, Rdnr. 102 unter Hin-weis auf OVG Lüneburg, RdE 1967, 67, 68), beziehungsweise dass der jeweili-ge öffentliche Zweck der von § 8 Abs. 6 AVBEltV erfassten Fläche bei der In-teressenabwägung im Rahmen der Zumutbarkeit zu berücksichtigen sei (Hem-pel/Franke, aaO).

17

cc) Der Senat hält die Auffassung für vorzugswürdig, nach der in Fällen, in denen die Inanspruchnahme von privatem und öffentlichem Grundeigentum für eine Verlegung von Elektrizitätsleitungen - wie hier - gleichwertig möglich ist, das Auswahlermessen des Elektrizitätsversorgungsunternehmens nicht dahin eingeschränkt ist, dass es öffentliches Grundeigentum vorrangig in Anspruch zu nehmen hat.

18

(1) Allerdings hat der Verordnungsgeber bei Erlass des § 8 AVBEltV zu einem etwaigen Rangverhältnis keine Regelungen getroffen, sondern zu einer Inanspruchnahme von Straßengrundstücken für die Leitungsverlegung lediglich ausgeführt, dass die Ausnahmeregelung des Absatzes 6, wonach die voraus-gehenden Absätze der Vorschrift nicht für öffentliche Verkehrswege und Ver-kehrsflächen gelten, der bisherigen Praxis beim Bau von öffentlichen Verkehrs-wegen und Verkehrsflächen Rechnung trage und das System der Gestattungs-verträge unberührt lasse (BR-Drs. 76/79, S. 48). Dadurch hat der Verordnungs-geber zum Ausdruck gebracht und dies bei Schaffung der Neuregelung in § 12 Abs. 5 NAV auch beibehalten (BR-Drs. 367/06, S. 48), dass eine Inanspruch-nahme von öffentlichen Verkehrswegen anderen Regeln folgen sollte als die Inanspruchnahme von privaten Grundstücken innerhalb des Versorgungsgebie-tes. Während er eine Duldungspflicht der betroffenen Kunden und Anschluss-nehmer aus der Sozialpflichtigkeit ihrer im Versorgungsgebiet gelegenen Grundstücke hergeleitet hat (BR-Drs. 76/79, S. 46; dazu vorstehend unter II 2 a), hat er für öffentliche Verkehrswege und Verkehrsflächen eine solche Dul-dungspflicht nicht begründen wollen, sondern für deren Inanspruchnahme wei-terhin nach der überkommenen Praxis der Gestattungsverträge, wie sie etwa auch in § 8 Abs. 10 BFStrG vorausgesetzt wird, verfahren wollen (Recknagel, aaO, Rdnr. 121).

19

(2) Auf die Einräumung derartiger, den Regeln des Verwaltungsprivat-rechts unterliegender Benutzungen (dazu Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, Rdnr. 827 f. m.w.N.) können im Einzelfall zwar straßenrechtlich begründete Gestattungsansprüche gegen den Träger der Straßenbaulast bestehen (vgl. etwa § 30 Abs. 2 Straßen- und Wegegesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Januar 1993 [GVOBl. S. 42]). Ebenso waren Gemeinden nach dem zum Zeitpunkt der Leitungsverlegung geltenden § 13 Abs. 1 Satz 1 EnWG 1998 (gleichlautend § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG 2005) verpflichtet, ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet diskrimi-nierungsfrei durch Vertrag zur Verfügung zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2008 - KZR 43/07, NVwZ-RR 2009, 596, Tz. 19). Gleichwohl folgt aus etwaigen Ansprüchen der Beklagten auf Gestattung einer Leitungsver-legung im Straßenraum nach dem vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei fest-gestellten Sachverhalt nicht, dass die von der Beklagten gewählte Inanspruch-nahme des Grundstücks der Kläger ermessensfehlerhaft war.

20

Vor einer Enteignung privater Grundstücke (Art. 14 Abs. 3 GG) sind zwar vorrangig Grundstücke der öffentlichen Hand in Anspruch zu nehmen, wenn der mit der Enteignung verfolgte Zweck auf ihnen ebenso gut verwirklicht werden kann. Denn in der hierbei vorzunehmenden Abwägung hat das Eigentum der öffentlichen Hand mangels Inhaberschaft des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG ein geringeres Gewicht als das Eigentum Privater (BVerfG, NVwZ 2009, 1283, 1286 m.w.N.). Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Inanspruchnah-me privater Grundstücke die Schwelle zur Enteignung nicht erreicht. Hält sich die Duldungspflicht des privaten Grundstückseigentümers - wie hier - noch im Rahmen der durch gesetzliche Eigentumsschranken konkretisierten Sozialbin-dung des Art. 14 Abs. 2 GG, ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision weder aus der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG noch sonst eine Verpflichtung des Elektrizitätsversorgungsunternehmens, vorrangig öffentliche Verkehrswege für die Verlegung von Leitungen für die örtliche Ver-sorgung in Anspruch zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2001 - V ZR 426/00, MMR 2002, 305, unter II 1 c; Schütz in: Beck´scher TKG-Kommentar, 3. Aufl., § 76 Rdnr. 6). Die Ermessensausübung der Beklagten war mithin in dieser Hinsicht nicht gebunden.

21

c) Das Berufungsgericht hat - von der Revision unbeanstandet - auch sonst keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergibt, dass die Kläger durch die Inanspruchnahme ihres Grundstücks in unzumutbarer Weise belastet worden sind oder dass nachträglich eine - allerdings auch nur einen Verle-gungsanspruch begründende - nicht mehr zumutbare Belastung im Sinne von § 8 Abs. 3 Satz 1 AVBEltV/§ 12 Abs. 3 Satz 1 NAV entstanden ist. Insbesonde-re steht es im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats, dass das Beru-fungsgericht die von den Klägern vorgebrachten Einschränkungen hinsichtlich der Aufstellung eines Werbeschildes sowie des Baus eines Gartenteiches be-reits deshalb für unerheblich erachtet hat, weil es nach seinen von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen insoweit nur um theoretische Nutzungsmög-

lichkeiten ohne konkrete Bauabsichten gegangen ist (vgl. Senatsurteil vom 13. März 1991, aaO, unter II 2 b aa).

Ball Dr. Frellesen Dr. Achilles

Dr. Fetzer Dr. Bünger

Vorinstanzen:

AG Parchim, Entscheidung vom 21.01.2009 - 12 C 428/07 -

LG Schwerin, Entscheidung vom 24.07.2009 - 2 S 19/09 -